Grundrechte

Wie wir in Hamburg sehen konnten, sind Grundrechte keine Rechte, da sie entzogen werden können. Sie sind, wie George Carlin dies so wunderbar auf den Punkt bringt, Privilegien und können als solche ohne große Probleme entzogen werden.

Im Notfall tut dies die Polizei beispielsweise, wie im Fall des gestürmten Protestcamps1, nach eigenem Gutdünken, auch wenn diese Maßnahme oder die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts gegen das Protestcamp möglicherweise später wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Ist ja auch egal, denn die Zeit kann nicht zurückgedreht werden. Und da die geplante Nutzung der Grundrechte ausdrücklich einen zeitlichen und örtlichen Bezug aufwies, ist es unwahrscheinlich daß die Demonstranten in irgendeiner Weise je eine Wiedergutmachung/Entschädigung jedwelcher Form erhalten werden können. Bestenfalls gibt es die angedeutete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als “Ohrfeige” für die Sicherheitsbehörden. Aber diese loten ganz klar derzeit aus wie weit sie ohne Sanktionen von oben gehen können und da sie die Politiker mit im Boot haben, sind praktische Auswirkungen zu ihren Ungunsten nicht zu erwarten.

Ich frage mich bei den Polizisten welche einer Demonstration gegenüberstehen immer, ob Polizisten tatsächlich so obrigkeitshörig sind, daß Sie die Taten der G20-Herrscher2 gutheißen, oder ob es unter denen auch Skeptiker gibt, die den Demonstranten eher freundlich gesonnnen sind.

Übrigens will ich nicht als Apologet für die Chaoten gelten. Aber die Gewaltexzesse kann man durchaus auch als Ausdruck einer Machtlosigkeit — im Wortsinn — eines gewaltbereiten Teils der G20-Gegner begreifen. Allerdings dürfte es auch die friedlichen Demonstranten, welche in der Mehrheit waren, ziemlich genervt haben, daß die riesige Verbotszone3 es ihnen verunmöglichte sich bei den Teilnehmern des Gipfels friedlich Gehör zu verschaffen. Das gehört nämlich ebenso zur Versammlungsfreiheit wie zur Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit4 braucht mir keine Regierung garantieren, denn die habe ich solange wie die Regierung keine gedankenlesende Gesinnungspolizei hat. Das Recht auf freie Meinungsäußerung steht und fällt aber gerade auch mit der Reichweite der Meinungsäußerung. Und genau da liegt der Hase begraben. Journalisten sind beispielsweise komplett betriebsblind im Hinblick auf die Reichweite ihrer eigenen subjektiven “Berichterstattung”. Nun ist subjektive Berichterstattung an sich noch kein Problem, sondern dürfte die Norm sein, aber eine Offenlegung der eigenen Standpunkte und zumindest der ehrliche Versuch Fakten vollständig und weitgehend objektiv zu präsentieren, würde sicher dem Ansehen dieser Zunft gut tun. Das NetzDG sehe ich auch gerade in dieser Hinsicht als einen Versuch der Machteliten sich einer möglichen basisdemokratischeren Meinungsvielfalt zu entledigen. Anders ist nicht zu erklären, warum es keinerlei konkrete Maßstäbe für Haßrede und so weiter gibt. Aber zurück zum Ausgangspunkt: wenn also die Demonstranten sich kein Gehör bei den Gipfelteilnehmern verschaffen können, weil sie räumlich so weit getrennt werden, daß sich kein Politiker um Volkes Meinung scheren muß, dann führt das zu Frust. Und auch hier geht es um die Reichweite, die künstlich durch die Sicherheitsbehörden und Gerichte eingeschränkt wurde. Nur ist es fraglich ob die Gewaltexzesse zu einer ausgewogeneren Berichterstattung beitragen. Bisher ist das Gegenteil der Fall.

Die gewaltbereite Minderheit stiehlt also nicht nur der friedlichen Mehrheit die Show, sondern schadet der gemeinsamen (?) Sache durch die Gewaltexzesse. Ein wenig kann man dies mit den ewigen Aufrufen an die Mehrheit der Muslime vergleichen, sich doch bitte von islamistischen Terroristen zu distanzieren.

Nimmt man noch den im Raum stehenden Vorwurf hinzu, daß die Sicherheit der Gipfelteilnehmer Priorität vor der Sicherheit der Hamburger Bürger hatte, gibt das schon ein G’schmäckle. Gerade auch im Hinblick auf die ansonsten oft angeführte Aussage der Staat müsse seine Bürger — laut manchem Innenpolitiker um jeden Preis — beschützen. Wobei doch allen Beteiligten klar sein sollte, daß hundertprozentiger Schutz nie zu erreichen sein wird. Dennoch sind erfolgte Terroranschläge oder eben das Wüten von Chaoten in — offenbar — rechtsfreien Zonen Hamburgs immer wieder Grund genug für besagte Politiker ihre alten Pläne zur Einschränkung von Bürgerrechten und Ausbau von Überwachung und Behördenbefugnissen aus den Schubladen zu kramen und unter dem Vorwand daß sich “soetwas nicht wiederholen dürfe” in die politische Debatte oder gar den Gesetzgebungsprozeß einzubringen.

Meine Schlußfolgerung aus der bisherigen Berichterstattung ist, daß es offenbar einen “erfolgreichen Gipfel” und vor allem bürgerkriegsähnliche Zustände auf den Hamburger Straßen gegeben hat. Argumente der friedlichen Demonstranten sind jetzt nicht so direkt hängengeblieben — höchstens vereinzelte Sprüche auf den Plakaten die ab und an kurz auch in der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichtbar waren. Aber den meisten Platz in der Berichterstattung nahmen bekanntlich die Gewaltexzesse des “schwarzen Blocks” ein5. Auch die Nachbereitung bei Anne Will ließ die Seite der Demonstranten aus meiner Sicht nicht zu Wort kommen, es sei denn man zählt die Grünen zur außerparlamentarischen Opposition6. Mal sehen wie es bei den anderen Debattenformaten in der Nachbereitung aussehen wird. Es würde mich ernsthaft wundern, wenn es dort anders wäre und den G20-Gegnern auch nur ähnlich viel Raum für ihre Argumentation eingeräumt würde. Aber im ach so demokratischen Empöristan wird vermutlich die Gewalt skandalisiert, während die Argumente der friedlichen Mehrheit ignoriert werden.

// Oliver

  1. Es wurde bekanntlich zu einem Zeitpunkt gestürmt, als es noch genehmigt war. Auch wenn später diese Genehmigung später durch eine weitere Gerichtsentscheidung entzogen wurde. []
  2. Warum Herrscher? Weil sie einen Herrschaftsanspruch bekunden und sogar einen Vertretungsanspruch gegenüber denen die ausdrücklich nicht Teil der G20 sind. []
  3. immerhin 32 km² []
  4. im dem Sinne die Freiheit zu einer eigenen Meinung zu haben []
  5. wobei einige Teilnehmer aus dem “schwarzen Block” sich offenbar auch rot kleideten. []
  6. Haha! Ich hielte dies für eine lächerliche Einordnung. []
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