Einsprüche, Widersprüche und Widersprüchlichkeiten

Als ich auf die Aktion der Künstler aufmerksam gemacht wurde, dachte ich so bei mir “Oh, das ist aber gewagt”. Was aber an diesem Gedanken bemerkenswert ist, ist die Tatsache, daß er eine bereits existierende Schere in meinem Kopf offenbart hat. Eine Schere, die mir als ehemaligem Jung- und Thälmann-Pionier bekannt vorkam1.

Noch immer denke ich, daß die Aktion gewagt war. Denn im heutigen Empörzeitalter und mit der allgegenwärtigen Cancel Culture bedeutet die Teilnahme an der Aktion, daß die besagten Künstler nicht etwa allein argumentativen Gegenwind bekommen2 — etwas was man von einer gesunden Debatte erwarten würde –, sondern daß sie riskieren ihre Karriere zu beschädigen oder zerstört zu bekommen. Wir werden es in den nächsten Jahren sehen welche der Künstler wir in welchen Rollen weiterhin zu sehen bekommen. Cem Ali Gültekin ist beispielsweise häufig in extra 3 als “Rollo” (der rasende Reporter) zu sehen gewesen.

Wer nicht weiß was Cancel Culture ist: es geht hier darum Leuten deren Ansichten einer Gruppe mißliebig sind die Lebensgrundlage zu entziehen. Ein Beispiel dafür ist wenn die Kunden eines privat (!) meinungsstarken Selbständigen angeschrieben werden um ihnen die Geschäftsbeziehung madig zu machen, indem ihnen die kontroversen Ansichten in Form von Kontaktschuld vorgehalten werden. Das kann man harmlos oder lustig finden solange es jemanden trifft dessen Ansicht einem selbst mißliebig ist3. Leider bedeutet der Einzug dieser Unsitte aber auch, daß es am Ende jeden treffen kann, der sich nicht innerhalb des geduldeten Meinungskorridors bewegt. Dazu möchte ich meinen geneigten Lesern ein Zitat von Noam Chomsky aus dessen Buch “The Common Good” (1998) an die Hand geben:

The smart way to keep people passive and obedient is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum — even encourage the more critical and dissident views. That gives people the sense that there’s free thinking going on, while all the time the presuppositions of the system are being reinforced by the limits put on the range of the debate.

Hier meine eigene Übertragungs ins Deutsche:

Die kluge Vorgehensweise Menschen passiv und gehorsam zu halten, ist es das Spektrum geduldeter Meinungen strikt zu beschränken, aber eine angeregte Debatte innerhalb dieses Spektrums zu erlauben — mithin jene eher (regierungs)kritischen Ansichten zu fördern. Dies gibt den Menschen das Gefühl es gäbe freies Denken, während ständig die gesetzten Annahmen des Systems durch die abgesteckten Grenzen der Debatte bestärkt werden.

Noam Chomsky

Dies ist nichts weniger als die Rückkehr des voraufklärerischen Prangers mit anderen Mitteln. Es ist Ausdruck einer Epoche der Gegenaufklärung, in der wir uns befinden. Manche nennen diese Epoche postfaktisches Zeitalter. Jede der sich gegenüberstehenden Seiten beansprucht für sich die Wahrheit (in Form eines einzig gültigen Narrativs) gepachtet zu haben. Als Skeptiker sind mir jedoch alle suspekt, die behaupten im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein.

Es gibt auch einen gehörigen Unterschied zu den Fällen Hans-Georg Maaßen oder Eva Herman. Letztere tätigten Aussagen die weder als Satire gemeint noch erkennbar waren. Die Künstler der allesdichtmachen-Aktion hingegen wurden von den Medien — die sich zurecht auch von den zuge- und überspitzten satirischen Bemerkungen angegriffen fühlten — in die rechte Ecke gestellt und es wurden weder die Aussagen noch deren mögliche Interpretationen weitergedacht, sondern es wurde recht einseitig auf sie eingedroschen. Pikanterweise versuchten sich einige der Journalisten den Anschein von Neutralität zu geben, indem das Lob von Rechtsaußen Maaßen an der Aktion zur Sprache gebracht wurde. Eine gesellschaftliche Debatte wurde jedoch durch die Form der “Berichterstattung” direkt ausgeschlossen.

Die Vierte Gewalt scheitert an ihrem eigenen Anspruch. Ein Schelm wer Böses dabei denkt wenn die kritisierten Medien sich Dank ihrer schieren Macht im Prozeß der Meinungsbildung zu Klägern, Richtern und Vollstreckern aufschwingen — einfach weil sie es können. Das halbe Dutzend Leser — wenn überhaupt — welches meinen Blog frequentiert, bedeutet eine lächerlich geringe Reichweite. Wenn aber ein Journalist einen Kommentar verfaßt — und es ist ja gerade so, daß immer häufiger Meinungsbeiträge nicht als solche gekennzeichnet werden — ist ihm Reichweite qua Arbeitgeber im Prinzip garantiert. Ich vermute viele Journalisten haben nach wie vor nicht begriffen, daß dies eine Machtstellung ist, wie riesengroß sie ist und daß ihr Wirken entsprechend der Verwendung dieser Machtfülle beurteilt wird. Zumindest sind nur so einige Reaktionen von Journalisten in den vergangenen Jahren zu erklären, die sich ob des Gegenwinds (quantitativ wie qualitativ) aus sozialen Medien bzw. “dem Internet” verwundern und selbst zu Opfern stilisieren. Hier würde es helfen zu reflektieren was es bedeutet wenn man die Vierte Gewalt oder ein Teil ihrer sein will.

Wenn die ARD beispielsweise klarstellt, daß es sich bei Aussagen von Teilnehmern der Aktion, die für die ARD tätig sind oder waren, um deren persönliche Meinung handelt, ist dies eine Binsenweisheit. Sie sagt aber viel über die die Freiheit der Rede in unserem Land aus. Keiner der Künstler behauptet an irgendeiner Stelle für einen Sender zu sprechen … oder überhaupt für jemand anderen. Und dennoch wurde in vorauseilendem Gehorsam diese Klarstellung verfaßt. Das erinnert nicht unerheblich an die bereits über ein Jahr alte Distanzierung von Radio Eins von den Äußerungen von Karin Mölling in einem Interview. Als ob es jemals der Fall gewesen wäre, daß ein Journalist sich — abseits eines Meinungsbeitrags — allein durch ein Interview die Meinung der interviewten Person zueigen gemacht hätte.

Wenn Oliver Welke von “total danebenen (sic!) Videos” faselt, setzt auch bei mir der Fremdschämreflex ein; und zwar nicht allein aufgrund der schrägen Sprachnutzung. Viele Pointen der heute-show sind regelmäßig flacher als viele der satirischen Denkanstöße einiger — nicht aller! — Videos dieser Aktion. Sie aber über einen Kamm zu scheren und sich einer Debatte zu verweigern halte ich für unklug. Wenn hier der ein oder andere Kritiker der Aktion davon faselt, daß die Aktion “den Querdenkern”4 in die Hände spielt, muß man ebenfalls konstatieren, daß denjenigen die eine “Systemnähe” unserer öffentlich-rechtlichen Medien behaupten mit Kommentaren wie denen von Oliver Welke, oder Julia Westlake ebenfalls in die Hände gespielt wird.

Wie man in dem Interview mit Jan Josef Liefers bei Radio Bremen sehen kann, erscheint er als eines der Gesichter der Aktion deutlich reflektierter als so einige der “Noch ganz dicht?”-Rufer …

// Oliver

PS: Lustig und gelungen fand ich hingegen die Reaktion von Lutz van der Horst. Im Gegensatz zum Postillon wo die Aktion einfach abgewertet wurde, sehe ich diese Reaktion als einen satirischen Debattenbeitrag. Mithin also das was die Künstler erreichen wollten. Von anderen Reaktionen kann man derlei nicht behaupten. Gute Besserung Lutz!
PPS: Aufschlußreich auch der Wikipedia-Artikel zum Thema, dessen Änderungshistorie man sich jedoch ebenfalls zu Gemüte führen sollte. Und all das am besten mit einem Pfund Salz, denn bei gesellschaftlichen und politischen Themen hat die deutsche Wikipedia seit vielen Jahren Schlagseite und darf nicht als strikt enzyklopädisch gelten. Wie beim Genuß von Medien mit bestimmter Tendenz, hilft aber allein dieses Wissen schon ungemein dabei sich ein Bild zu machen — insbesondere wenn man eine weitergehende Hintergrundrecherche nicht scheut.

  1. Im Gegensatz zu unserer Kanzlerin habe ich es bis zur FDJ aufgrund zu späten Baujahrs nie geschafft. []
  2. Die Behauptung ist ja immer, daß das Vertreten einer Meinung einem nicht das Recht einräumt diese unwidersprochen zu vertreten. Dies wird sehr häufig angebracht. Dieses Argument wäre sogar stichhaltig, so denn eine Debatte erlaubt und gewollt wäre. Da aber die Widersprüche häufig in Form und Menge jegliche Debatte von vornherein verunmöglichen, handelt es sich in diesem Fall um ein plattes Totschlagargument. []
  3. Übrigens gibt es ohne Frage Grenzen der Toleranz, wie das auch Michael Schmidt-Salomon in seinem Buch “Die Grenzen der Toleranz: Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen” von 2016 im Geiste Karl Poppers darlegt. Es geht aber hier gerade nicht um jene die diese Grenzen überschritten haben, sondern jene deren Ansichten skandalisiert werden, weil man sich nicht die Mühe machen möchte sich auf argumentatives Fair Play in einer Debatte einzulassen. Und ja, ich freue mich auf eine weitere Sendung der zynisch betitelten Sendereihe “hart aber fair” am kommenden Montag. []
  4. Noch so ein unreflektierter Kampfbegriff des Empörzeitalters, den in diesem Fall eine Gruppe für sich vereinnahmt hat. Noch vor zwei Jahren wäre der Vorwurf jemand sei ein Querdenker allenfalls als mild kritisch wahrgenommen worden. Man hätte sich als Skeptiker gefühlt oder einer der über den Tellerrand schaut. Aber heute möchte man den Begriff nicht mit nem Feuerhaken anfassen, in der Angst mit Esoterikern, Reichsbürgern und schrillen Verschwörungstheoretikern in einen Sack gesteckt zu werden. []
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