Talent

Sicher hat das jeder schonmal gehabt, daß irgendjemand einem sagt: “Dafür hast du aber ein besonderes Talent”. Das kann Sprachenwissen, Wissen über Programmiersprachen oder jedes andere beliebige Fachthema, inklusive Sport und anderer Tätigkeiten sein.

Nun kann man sich dann einfach über das vermeintliche Kompliment freuen oder man kann mal drüber nachdenken. “Talent” hat den gleichen schalen Beigeschmack wie “Vorsehung” oder “Erbsünde” und die ganzen anderen Worte die etwas beschreiben was eigentlich ohnehin nicht zu ändern ist. Als ob eine höhere Macht einem dieses “Talent” mit in die Wiege gelegt hätte und man sich danach nur noch bequem alles Wissen der Welt zufliegen lassen müßte, wie die gebratenen Hähnchen im Schlaraffenland.

Ein solch vermeintliches Kompliment impliziert aber noch etwas. Von “gleich Talentierten” hört man es selten – meist nur von denen die dieses ominöse “Talent” selbst nicht ihr eigen nennen können. Die Ärmsten – denn eigentlich wollen die nur eines ausdrücken: sie waren selbst zu uninteressiert oder zu faul um sich mit dem entsprechenden Thema ausführlich genug zu beschäftigen, in welchem das “Talent” des Gegenübers vermutet/gesehen wird. Wohlgemerkt, dies ist nichts Schlimmes an sich, denn jeder Mensch kennt Themen die ihn nicht im geringsten tangieren oder bei denen aufgrund persönlichen Geschmacks eine gewisse Übelkeit aufsteigt wenn man nur daran denkt. Abgesehen davon kostet der Wissenserwerb oder die Leistungssteigerung im Sport eben viel Zeit und Ausdauer. Und (Lebens-)Zeit ist nur begrenzt vorhanden.

Auch will ich nicht verneinen, daß es möglicherweise gewisse Prädispositionen gibt die dem einen Vorteile gegenüber einem anderen verschaffen. Es gibt schließlich auch angeborene Nachteile – zumindest werden die von uns “normalen Menschen” meist so gesehen – wie geistige oder körperliche Behinderungen. Warum nicht auch in die andere Richtung. Aber vielleicht geht so ein “Talent” ja auch mit einer Behinderung in einem anderen Lebensbereich der talentierten Person einher? Wie beispielsweise bei Autisten, die meist ein oder mehrere “Talente”, dafür aber gewisse andere Schwächen haben … wer weiß?!

Jedenfalls bleibt eins festzustellen: wenn einem andere Menschen “Talent” unterstellen, geht es nicht in erster Linie darum ein Kompliment auszuteilen, sondern vielmehr darum, die eigene – meist ungenügende – Kenntnis auf dem entsprechenden Gebiet zu verschleiern oder zu entschuldigen. Daß dabei gleichzeitig behauptet wird, daß der “Talentierte” quasi durch Geburtsrecht und Genkonfiguration Vorteile hat, impliziert aber eben auch, daß Fleiß und Hingabe zu einem Thema für denjenigen der das Kompliment vergibt völlig unwichtig sind. Dadurch wird also pauschal eine persönliche Lernleistung oder das sportliche Training über Jahre entwertet, was der Komplimentierte meist durch den Rausch des Kompliments nicht mitbekommt. Wenn aber doch, ist es ziemlich ernüchternd auf diese Weise ein “Kompliment” zu erhalten …

// Oliver

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