“Einfach nur töten und das soll es gewesen sein?”

“Geh und sieh” (“Иди и смотри”) ist ein sowjetischer Antikriegsfilm von 1985, der unter der Regie von Elem Germanowitsch Klimow (Элем Германович Климов) entstand. Der Film spielt in Weißrußland im Jahr 1943 und kommt in weißrussischer, russischer und deutscher Sprache daher und war in meinem Fall englisch untertitelt. Die Untertitelung war besonders hilfreich, da ich des Weißrussischen nicht mächtig bin, aber dank Russisch-, Polnisch- und Ukrainischkenntnissen dennoch ein bißchen verstehen kann. Noch besser war, daß die Untertitelung in keiner der im Film benutzten Sprachen war – deutsche Texte wurden übrigens meist nicht untertitelt.

Ich habe bisher nur einen ähnlichen Film (komplett russisch und in Schwarzweiß) gesehen, an dessen Titel ich mich leider nicht mehr erinnere. Alle anderen Filme, die ich bisher gesehen habe – seien sie nun “einfach” gegen die Nazi-Ideologie oder direkt gegen jedweden Krieg gewandt – kommen an diesen Film und seine Botschaft nicht annähernd heran.

Der Film beginnt damit, daß Fljora (Флёра), der Hauptcharakter des Filmes, und sein Freund den Vater von einem der beiden (ich meine den des Freundes) necken. “Geh und sieh” klingt soweit also wirklich nach einem Kinderspiel. Schon in der übernächsten Szene findet Fljora allerdings ein sowjetisches Gewehr beim Buddeln nach Waffen an einer Stelle an der zuvor ein Kampf stattgefunden haben muß. Das Gewehr kommt sehr gelegen, da Fljora zu den Partisanen gehen möchte, was seine Mutter äußerst schlimm findet (sie bittet ihn in einer Szene sie und seine kleinen Schwestern mit einer Axt zu erschlagen). Er setzt sich jedoch durch und wird kurz darauf von Partisanen vom elterlichen Hof abgeholt.

Sein erster Einsatz kommt nicht zustande, da er einem erfahreneren Partisanen seine Stiefel im Tausch für dessen ausgelatschte geben muß. Er bleibt also im Lager zurück und läuft bald darauf heulend in den Wald, wo er auf die liebeskranke Glascha (Глаша) trifft, die sich nach Liebe und Kindern sehnt und ihn neckt. Der Darsteller von Fljora war sechzehn, als der Film gedreht wurde – die Liebe galt denn auch scheinbar nicht Fljora, sondern eher einem der Partisanen welche zum Kampf aufgebrochen waren. Die Tatsache, daß beide sich entfernt vom Lager aufhalten, gereicht ihnen jedoch zum Glück. Das Lager wird kurz darauf bombardiert und Fljora verliert zeitweilig sein Gehör. Nach dem Beschluß zu seiner Mutter und den Schwestern ins Dorf zurückzukehren, kommt die erste grausame Szene. Das Dorf ist scheinbar verlassen, aber da Fljora nichts hört, versteht er nicht als Glascha ihn auf dem Weg zu einem – seiner Meinung nach von der Mutter aufgesuchten – Sumpfversteck aufzuhalten versucht. Sie hatte bei einem Blick zurück den Leichenberg der von der SS getöteten Dorfbewohner hinter der letzten Hausecke entdeckt. Nach der Sumpfdurchquerung werden beide von einem Partisanen aufgegabelt und in ein Partisanenlager gebracht. Dort findet Fljora seinen Vater …

Ich will aus gutem Grund nicht zuviel verraten. Der Film ist jedoch sicher nichts für Leute mit empfindlichem Magen, wie man so zu sagen pflegt und ganz sicher nichts für Kinder. Aber “spulen” wir noch ein wenig vor …

Fast am Ende des Filmes wird Fljora Zeuge eines Verbrechens, wie es – so der Abspann – in 628 weißrussischen Dörfern stattgefunden hat. Diese Anzahl von Dörfern wurde zusammen mit ihren Bewohnern niedergebrannt. Es kommt zu einer Art Standgericht mit den Partisanen als Richtern und den SS/SD-Männern als “Angeklagten”. Ein jüngerer Partisan geht dazwischen und meint in etwa (an die Partisanen gewandt):

Haltet ein! – Was denkt ihr euch? Was denkt ihr euch? Hier diese … diese hier einfach nur nur töten? Einfach nur töten und das soll es gewesen sein?
(Soweit ich es hören konnte: Стойте! Вы что? Вы что? Вот етых … вот етых убить? Просто убить и всё?)

Major Stein vom SD versucht sich dann mithilfe seines Übersetzers (der immer wieder betont selbst nicht Deutscher zu sein) zu verteidigen indem er sich als bemitleidenswert ausgibt (hat Enkel, ist alt usw.) und sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes um Kopf und Kragen redet. Er selbst hätte ja niemandem ein Haar gekrümmt, sondern nur Befehle gegeben; … nachdem er fertig ist, wird er von einem jüngeren SS-Mann als “Hund, … Sau” beschimpft, woraufhin Fljora in dem Standgericht als Zeuge gegen diesen Jüngeren auftritt. Dieser erklärt dann auf Deutsch, daß ja alles mit den Kindern anfange und eben nicht jedes Volk ein Anrecht auf eine Zukunft habe. Dabei kommen die Angeklagten sogar mehr zu Wort als die Ankläger. Wiedermal stellt sich heraus, daß die Befehlsempfänger ja nur auf Befehl gehandelt und die Befehlshaber ja selber kein Blut an den Händen haben. So ist es praktischerweise in jedem Krieg so, daß es am Ende “keine Schuldigen” gibt.

Das Standgericht endet wie es enden muß und die Endszene bleibt allein Fljora, seinem Gewehr und einem Hitlerbild mit der Auschrift “Hitler, der Befreier” (in Weißrussisch) vorbehalten. Sie bezieht sich unter anderem auf die Worte des jüngeren SS-Mannes und andere zuvor im Film thematisierte Dinge. Auch hier möchte ich nicht mehr verraten. Zur traurigen Stimmung passend, sind der letzte Teil der Endszene und der Abspann mit Musik aus Mozarts Requiem unterlegt.

Der Film ist insgesamt von einer überwältigenden Intensität – und zwar über die gesamte Spielzeit (immerhin mehr als zwei Stunden) – und ich kann ihn nur jedem ans Herz legen, der nicht über einen zu empfindlichen Magen verfügt. An Intensität hat der Film meines Erachtens nach insbesondere dadurch gewonnen, daß ich (auch dank Untertitelung) alles Gesprochene verstehen konnte.
Die Altersfreigabe “FSK 16” hat mich zwar etwas überrascht, aber vielleicht hat hier jemand aufgrund des lehrreichen Inhaltes mal ein Auge zugedrückt. Ich finde diese Einstufung im Hinblick auf die Botschaft des Films schon angemessen.

// Oliver

PS: Es gab noch eine Szene (zeitlich vor dem Standgericht) welche ich sehr markant fand. Zu sehen ist eine sterbende “SS-Braut” und Fljora, wie er aus einer unweit von ihr liegenden Tasche zwei Mullbinden nimmt. Später sieht man ihn den zuvor durch einen Schuß gespaltenen, hölzernen Gewehrkolben seines Gewehres mit einer der Mullbinden “heilen”.

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