Letzte Woche war bekanntlich die Abstimmung hier im Alþing (dem isländischen Parlament) über die Frage ob Island ein Beitrittsgesuch zur EU abgeben sollte. Vermutlich würde der demokratischen Tradition der Isländer folgend ohnehin noch eine Volksabstimmung einem eigentlichen Beitritt vorausgehen, was man von den meisten EU-Mitgliedsstaaten schonmal nicht behaupten kann.
Was ich aber an Meinungen von deutschen “Normalbürgern” ohne Bezug zu Island gehört habe, war schon erschreckend. Da kommen dann Aussagen wie: “Erst machen die Isländer solche Profite auf Kosten auch deutscher Anleger 1 und dann wollen sie es sich von der EU zurückzahlen lassen”. Wohlgemerkt, eine Schuldenübernahme durch die EU stand nie zur Disposition. Ein wenig frech finde ich diese “Argumentation” aber schon, da sich wohl jeder deutsche Normalbürger verbitten würde mit “der Heuschrecke” Ackermann oder anderen “Eliten” verglichen zu werden. Ausnahme sind vermutlich nur jene, die danach streben so viel Profit wie möglich aus der Ausbeutung anderer zu schlagen – sprich all jene die man ohnehin bereits als “Ackermänner” bezeichnen kann und bezeichnet; und denen das auch schnuppe ist, weil sie keine Skrupel haben.
Man sollte allerdings auch nicht vergessen, daß auch hier auf Island die Meinungen deutlich auseinandergehen. All jene die ihre Pfründe gefährdet sehen sind natürlich gegen einen EU-Beitritt. Die Normalbürger hingegen scheinen weitgehend von den (offensichtlichen) Vorteilen überzeugt zu sein. Nun bin ich selbst nicht gerade ein EU-Befürworter, so daß ich schwerlich in diese Richtung argumentieren kann und will, weshalb ich das auch den Isländern überlasse. Jene Argumente der Beitrittsgegner die immer wieder angeführt werden, können jedoch leicht widerlegt oder dadurch entkräftet werden, daß man ihnen vor Augen hält wieviele “EU-Regelungen” bereits allein durch die Mitgliedschaft im Schengen-Abkommen und dem EWR in Island Anwendung finden.
Zwei Argumente hingegen sollten mich zu einem Befürworter machen – obwohl das natürlich ohne isländische Staatsbürgerschaft komplett irrelevant sein dürfte – der Verbraucherschutz und das Sozialsystem. Fangen wir mit Letzterem an. Man kann nicht gerade behaupten, daß das isländische Sozialsystem schlecht ist, obwohl es unter der Krise sicherlich auch noch in Zukunft leiden wird (hat es übrigens bereits jetzt schon). Was jedoch mir als EU-Bürger zugute kommen würde, wäre eine Harmonisierung der Rentenansprüche und so weiter, was natürlich mit einem Beitritt einhergehen würde. Auch in Sachen Gesundheitssystem sollte sich etwas tun – man denke nur an die Europäische Krankenkassenkarte (gibt es übrigens auch ohne EU-Mitgliedschaft bereits hier). In der Theorie mag das auch alles wunderbar sein. Wenn man jedoch – wie ich – schonmal das Vergnügen hatte einen deutschen Arzt mit einer schwedischen “Europäischen Krankenkassenkarte” aufzusuchen, weiß man daß die Praxis von der Theorie doch deutlich abweicht. Vermutlich auch aufgrund des Kostendrucks der bereits allein bei deutschen Patienten existiert.
Nun aber zum Verbraucherschutz. Bekanntlich gab es in Island eine deutliche Amerikanisierung durch die Stationierung von US-Soldaten im Rahmen des zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen. Auch wenn sich das mittlerweile etwas abgekühlt hat, scheint man auf Seiten der Turbokapitalisten die Einwohner Islands (zu denen ich ja auch – zumindest vorübergehend – gehöre) als eine Horde von Versuchskaninchen oder Laborratten zu begreifen 2. Einerseits werden bestimmte Dinge total überteuert 3 angeboten, andererseits gibt es auch gerne mal (wiederum überteuert) veraltete Produkte zu kaufen – was sich auch in den Bereich der Lebensmittel erstreckt und dort die Form verfallener Lebensmittel, oder solcher die kurz vor dem Verfallsdatum stehen, annimmt. Allgemein zieht man als Verbraucher in Island deutlich öfter den Kürzeren als in anderen europäischen Ländern. Ob das etwas mit dem sogenannten “zweithöchsten Lebensstandard” weltweit (nach Norwegen) zu tun hat, ist mir noch immer nicht ganz klar. Auf diesen waren die Isländer allerdings immer sehr stolz und bis ins Jahr 2008 hinein habe ich auch noch immer Verweise darauf zu hören bekommen. Hohe Preise sind bei mir allerdings nicht gleichbedeutend mit hohem Lebensstandard – wiewohl letzterer vermutlich schon jetzt aufgrund der Auswirkungen der Finanzkrise deutlich gesunken sein dürfte. Man denke nur an die überschuldeten Isländer, die ihre Immobilien auf Pump und in ausländischer Währung gekauft haben. Während der US-Amerikaner dann eben den Schlüssel zu seinem – ggf. zuvor verwüsteten – Haus bei der Bank abgibt, scheint die Lage eines Schuldners in Island eher mit der in Deutschland vergleichbar zu sein, wo man dann eben bis zum Lebensende nur noch für die Bank buckelt.
Bin mal gespannt, wohin die Entwicklung nunmehr geht und ob die Schweden – die als nordisches Bruderland Hilfe bei einem möglichen Beitrittsgesuchen gelobt haben – tatsächlich durch ihre derzeitige Ratspräsidentschaft eine Hilfe sein können. Man darf sich sicher sein, daß es hier auf Island bei einer gespaltenen “öffentlichen Meinung” bleiben wird.
// Oliver
- Man möchte das Wort “Anleger” garnicht in den Mund nehmen, denn es ist eine Binsenweisheit, daß große Gewinne immer mit großem Risiko einhergehen – einzige Ausnahme mag der Aufschwung direkt nach einer großen Finanzkrise sein. Nachdem es in die Hose ging, sind alle schlauer und die “Anleger” sauer. [↩]
- Zugegebenermaßen ist die geographische Isolierung Islands solchen “Experimenten” eigentlich nur zuträglich. [↩]
- Nein, ich spreche nicht vom Alkoholmonopol der Vínbúð-Kette. [↩]