Nachdem der Unterschied zwischen Ost und West bei den Hartz-IV-Bezügen inzwischen ausgemerzt wurde, kommt der Bundestag nun frisch-fröhlich mit seiner Änderung des Entsendegesetzes daher, die einmal mehr die Frage aufwirft, wo denn nun die sogenannte Wiedervereinigung Deutschlands in der Praxis bleibt!
Die “Ossi-Putze” ist demnach ganze 1,51 EUR pro Stunde weniger wert als die “Wessi-Putze”, geht man nach dem Mindestlohn. Hurra Wiedervereinigung. Wenn es bei dieser Geschwindigkeit der Angleichung von Löhnen bleibt – wobei die Preise schon länger angeglichen, ja zum Teil in Ost höher als in West sind – werden wir in fünfzig Jahren noch nicht mit der Wiedervereinigung fertig sein. Da rollen sich einem doch die Fußnägel auf, bei diesen himmelschreienden Ungerechtigkeiten. “Eins-fuffzig” ist in diesem Fall fast ein Fünftel des Mindestlohnwerts West. Womit rechtfertigt man diese Unterschiede? Keine Frage, wir leben in einer Zweiklassengesellschaft. Genaugenommen sind es sogar mehr als zwei Klassen.
Mit den Ostnegern konnte man es von Anfang an machen. Zum einen waren die Ost-Tölpel schließlich nicht an die Markt- und Gesellschaftsgesetze Westdeutschlands gewöhnt, so daß man sie in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung kräftig verarschen konnte. Zum anderen wurde die Ostwirtschaft als marode abgeschrieben und lieber für die symbolische Mark an den “Westinvestor” verkauft, während die Ostbelegschaft Firmen zum Teil nicht für Tausende und Zehntausende Mark kaufen durfte. Schon damals zeichnete sich ab, daß die Ostneger das werden würden, was der Türke und Italiener in der Zeit des Wirtschaftswunders und danach im Westen war, eine billige Arbeitskraft. Schöner Vorteil: gute Deutschkenntnisse, sieht man von dem Klischee des sächselnden Ossis einmal ab. Nur als Tip an meine Westleserschaft: mit dem Klischee vom sächselnden Ossi macht man sich keine Freunde (Spruch aus DDR-Zeiten: “Bist du mal in Wohnungsnot, schlage einen Sachsen tot”). Aber genau dieses Klischee wird dankbarerweise von allen Entertainern immer wieder aufgegriffen und bedient, wobei es vermutlich selbst den humorvollsten Vertretern der Gattung Ostneger nach fast sechzehn Jahren wieder hochkommt.
Inzwischen kann man nicht nur “billig”, sondern auch “willig” als Attribut anfügen. Schließlich steht dank Hartz-IV in vielen Gebieten Ostdeutschlands – und auch hier – mal eben ein Fünftel bis ein Viertel (teils sogar mehr) der Bevölkerung mit dem Rücken an der Wand. Der Druck nimmt zu, Arbeitsplätze werden aber nicht geschaffen. Während man schon lange über die Mobilität des Arbeitnehmers schwadroniert, ist diese im Osten längst bittere Realität. Jedes Wochenende machen sich Autoschlangen gen Westen auf den Weg um dort für Löhne zu arbeiten, zu denen ansonsten nur Einwanderer im Westen arbeiten gehen. Ist ja auch frech, daß die nicht direkt umziehen und ihr Steinhaus, welches als Investition und Altersvorsorge erbaut wurde, mit in den goldenen Westen nehmen. Wochenendehen sind ja auch so wirtschaftlich und kinderfreundlich. Natürlich führt das zu einer gewissen Anspannung der Arbeitsmarktlage im Westen sowie einer weiteren Verbitterung über die Ossis, welche nun den armen Westlern die Arbeit wegnehmen. Einerseits verständlich, andererseits zeigt es, wie tief man in Deutschland den Dingen noch auf den Grund zu gehen bereit ist. Würde man den Dingen nämlich auf den Grund gehen, dann würde man erkennen, daß nicht die Ossis sondern seit Jahren unfähige Politiker und Wirtschaft die Verantwortung dafür tragen, daß keine Arbeitsplätze geschaffen und alte sogar abgebaut werden. In einer Zeit wo der Shareholder-Value mehr zählt als alles andere und die dümmsten der Arbeitnehmer als Möchtegernaktionäre an ihrer eigenen Ausbeutung teilnehmen; in einer Zeit wo Börsenberichte in Fernsehen und Radio wie ein Wetterbericht klingen, weil mal heitere oder schlechte Stimmung “auf dem Parkett” herrscht … wieso sollte man sich da über all diese Entwicklungen wundern?
Der Osten wird bevölkerungstechnisch weiter ausgedünnt, weil die Jugendlichen keine vernünftige Lebensgrundlage, geschweige denn eine Zukunftsperspektive, geboten bekommt und so gen Westen abwandert. Der Rest wird mit Löhnen abgespeist, die gut durch diese jüngste Entscheidung des Bundestages symbolisiert werden. Man kann nur sagen “Danke” und sich fragen, wie lange wir Ostneger uns das noch gefallen lassen?!
Nun ein Beispiel aus der Realität: mein Vater geht seit Jahren für eine sogenannte Zeitarbeitsfirma, die ihren Sitz im Osten hat, im Westen arbeiten. Dadurch steigt natürlich die Gewinnspanne, weil die Westbetriebe entsprechende Tarife an die Zeitarbeitsfirmen zahlen, während die Ost-Zeitarbeitsfirma nur Osttarif an meinen Vater abdrücken muß. Ohne die Auslösung wäre diese Sache total unwirtschaftlich. Sobald er einen kapitalen Autounfall pro Jahr hätte, würde sich das Ganze schon nicht mehr lohnen – von den Risiken für Leib und Leben mal ganz zu schweigen. Und wir reden hier von einer gehörigen Fahrleistung, wenn es zum Teil bis an den Bodensee geht. Keine Angst, für solche Probleme oder allgemein Reparaturen durch Verschleiß kommt die Firma natürlich nicht auf! Aber das ist zumindest aktuell noch eine gute Situation, weil er natürlich auch schon direkt bei Westfirmen angestellt war, die ihn danach nicht bezahlt haben. Firma bankrott, Chef gründet andere Firma mit z.T. gleicher Belegschaft in einem anderen Teil Deutschlands und entkommt so den “Altlasten”. Vonwegen Gerechtigkeit …
Alles in allem eine gute Ausgangslage für eine gute Grundstimmung in der Bevölkerung beiderseits der ehemaligen Steinmauer. Ein Ende der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Ostneger ist noch lange nicht in Sicht und wird im Gegenteil sogar durch Entscheidungen wie die des Bundestages verstärkt. Letztlich fragt sich nur, wann auch Grundrechte für Ost und West getrennt werden …
// Oliver